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Der Klang der Erde

18.04.2024

Hoch aufgelöste Computersimulationen verbinden die Plattenbewegungen der letzten hundert Millionen Jahre mit Strukturen im tiefen Erdmantel

Anna Schneider präsentiert ihre Arbeit auf der EGU 2024

Anna Schneider präsentiert ihre Arbeit auf der EGU 2024 in Wien

© Anna Schneider

Gebirge, Vulkane, Tiefseegräben: viele Strukturen auf unserer Erdoberfläche werden durch Prozesse im Erdinneren geformt.

Heißes Erdinneres: Reste aus der Zeit der Entstehung der Erde

Die junge Erde war zu Beginn ein Ball aus heißer Materie. Auch wenn sich die Oberfläche der Erde bis heute so weit abgekühlt hat, dass sie fest ist, ist noch immer viel Wärme aus der Zeit ihrer Entstehung übrig: im Erdmittelpunkt herrschen mehr als 6000 Grad Celsius - das ist in etwa so heiß wie die Oberfläche unserer Sonne.

Diese Wärme treibt Konvektionsströmungen im Erdinneren an und wird an der Erdoberfläche ins Weltall abgegeben. Im flüssigen Eisen des Erdkerns sorgen diese Konvektionsströmungen für unser Erdmagnetfeld, den sogenannten Geodynamo. Im Erdmantel entstehen riesige Walzen aus Erdmantelgestein, welche sich unvorstellbar langsam bewegen: das Material braucht von der Kern-Mantel-Grenze in ca. 3000 km Tiefe bis zur Erdoberfläche etwa hundert Millionen Jahre.

Unterer Mantel - Direkter Einfluss auf den Geodynamo?

Aus geophysikalischen Messungen wissen wir, dass es im unteren Erdmantel sehr heiße, aber auch kältere Regionen gibt. Diese unterschiedlichen Temperaturen geben vor, wo mehr und wo weniger Wärme aus dem äußeren Erdkern abgeführt werden kann. Dadurch beeinflusst der untere Mantel die Konvektion im äußeren Kern und somit unseren Geodynamo: Je nach Position der kälteren Zonen kann sich der untere Mantel sowohl stabilisierend als auch destabilisierend auf unser Erdmagnetfeld auswirken. In der Tat ähneln sich die Zeiträume der Mantelkonvektion und der starken Änderungen in der Häufigkeit der Erdmagnetfeldumpolung. Können wir diesen Zusammenhang beweisen? Können wir überprüfen, ob die Temperaturverteilung unmittelbar oberhalb der Kern-Mantel-Grenze zu tiefgreifenden Veränderungen in den Eigenschaften des Geodynamos im Kern führt?

Seismologische Messungen vermitteln uns ein Bild des heutigen Erdmantels. Doch wie ein Meteorologe aus dem Wetter von heute nicht auf das Klima mehrerer Jahrzehnte schließen kann, lässt der heutige Zustand des Erdmantels keine Rückschlüsse über die Konvektion der letzten Millionen Jahre zu: Wir können die Bewegungen im Erdmantel schlichtweg nicht direkt beobachten, da diese viel zu langsam ablaufen.

Unsichtbares sichtbar machen

Mithilfe von Computer-Simulationen sind wir allerdings in der Lage, die zeitliche Entwicklung des tiefen Mantels nachzubilden. Ausgangspunkt für diese geodynamischen Modelle sind viele Daten, sowohl über die Zusammensetzung der tiefen Erde als auch über die Plattenbewegungen an der Erdoberfläche während der letzten paar hundert Millionen Jahre. Mithilfe von Höchstleistungsrechnern werden damit Modelle der Mantelkonvektion errechnet, welche dann mit unabhängigen seismologischen und geologischen Daten überprüft werden, ob sie plausibel sind.

Eigenschwingungen: Starke Erdbeben sind wie Glockenschläge

Anna überprüft für ihre Doktorarbeit Mantelkonvektionsmodelle anhand seismischer Daten. Sie nutzt dafür Aufzeichnungen besonders starker Erdbeben, wie beispielsweise das Tōhoku-Erdbeben, welches 2011 zum Tsunami bei Fukushima geführt hat. Auch das Bolivienbeben von 1994, das zweitstärkste Beben, welches jemals in großen Tiefen gemessen wurde, und weitere sehr große Beben der letzten 30 Jahre gehen in ihre Auswertungen mit ein. Nach solch starken Beben schwingt die Erde noch tagelang nach - wie eine Glocke, die nach dem Anschlagen noch lange zu hören ist. Genau wie bei der Glocke bestimmen die physikalischen Eigenschaften der Erde ihren Klang.

Sich auf diese sogenannten Eigenschwingungen der Erde zu konzentrieren, hat für Anna einen entscheidenden Vorteil: Eigenschwingungen sind stehende Wellen, die den gesamten Erdkörper umspannen. Sie enthalten somit Informationen über den gesamten Planeten, sodass nach einem Erdbeben schon mit einer einzigen Aufzeichnung Aussagen über die gesamte Erde getroffen werden können. Damit kann Anna einen Nachteil der klassischen Seismologie umgehen. Diese hat nämlich viele blinde Flecken: zirka zwei Drittel der Erde sind von Wasser bedeckt und für den Aufbau von Seismografen schwer erreichbar. Zudem bebt die Erde am häufigsten rund um den Pazifik, während andere Orte auf der Erde nahezu nie Quelle eines Erdbebens sind.

Eigenschwingungen sind sehr langwellig: Bei den einfachsten Schwingungen vergeht zirka eine halbe Stunde von einem Vollausschlag zum nächsten. Dadurch ist die räumliche Auflösung bei der Auswertung von Eigenschwingungen nicht sehr hoch. Dies ist für Annas Arbeit aber nicht hinderlich, da sie lediglich an großen Mantelstrukturen interessiert ist.

Präsentation der ersten Ergebnisse auf der EGU 2024 in Wien

Auf der Konferenz der EGU in Wien zeigte Anna in ihrem Vortrag, dass die Eigenschwingungen der Erde nach starken Beben in der Tat verwendet werden können, um Mantelkonvektionsmodelle zu überprüfen. Durch gezielte geometrische Änderungen eines Modells, wie beispielsweise Rotationen der Strukturen in der Tiefe, und der anschließenden Berechnung von synthetischen Eigenschwingungsdaten konnte sie zeigen, dass sich die ausgewählten seismischen Daten eignen, die Erdähnlichkeit von Mantelkonvektionsmodellen zu bewerten. Nachdem die Datenauswertung unterschiedlicher Beben es allerdings noch nicht ermöglichen eine Modell-Variante eindeutig zu bevorzugen, dehnt sie ihre Auswertungen nun von sechs auf 70 starke Beben aus, um allgemeingültige Aussagen treffen zu können.

Kurzzusammenfassung aus dem Tagungsband (in englischer Sprache)

Exploring the potential of normal mode seismology for the assessment of geodynamic hypotheses


Anna Schneider1, Bernhard Schuberth1, Paula Koelemeijer2, Grace Shephard3, and David Al-Attar4

  • 1: Ludwig-Maximilian University of Munich, Munich, Germany
  • 2: University of Oxford, Oxford, United Kingdom
  • 3: University of Oslo, Oslo, Norway
  • 4: University of Cambridge, Cambridge, United Kingdom

Fluid dynamics simulations are a powerful tool for understanding processes in the Earth's deep interior. Mantle circulation models (MCMs), for example, provide important insight into the present-day structure of the mantle and its thermodynamic state when coupled with mineralogical models, which is essential information for other fields in the geosciences. The evolution of the heat flux through the core-mantle boundary, for instance, is a prerequisite for geodynamo simulations that aim to model the reversal frequency pattern of the Earth's magnetic field on geologic time scales. However, geodynamical modelling requires extensive knowledge of deep Earth properties and plate motions over time. Uncertainties in these model inputs propagate into the MCMs, which subsequently have to be evaluated with independent data, such as the seismological or geological record. Although state-of-the-art MCMs typically explain statistical properties of seismological data, they do not consistently reproduce the location of features in the mantle.

In this contribution, we explore the effect of varying the absolute position of mantle structure on seismic data by applying first-order modifications to an initial MCM. Normal mode data are particularly well suited for assessing the resulting changes in the location of mantle structure, as they capture its long-wavelength component throughout the entire mantle. In addition, the global sensitivity of normal modes reduces the drawbacks of uneven data coverage. Specifically, we use two different seismic forward modelling approaches, an iterative direct solution method for computing full-coupling spectra and a splitting function calculation that is based on the self-coupling approximation. Our goal is to quantify the effects of a limited number of large-magnitude earthquakes, the adequacy of the self-coupling approximation, and the resolvability of relevant model differences through a comprehensive data analysis. Our synthetic forward modelling framework is moreover well suited for testing the depth sensitivity associated with specific frequency intervals in the spectrum that generally is inferred from seismic 1-D profiles within the splitting function approximation.

How to cite: Schneider, A., Schuberth, B., Koelemeijer, P., Shephard, G., and Al-Attar, D.: Exploring the potential of normal mode seismology for the assessment of geodynamic hypotheses, EGU General Assembly 2024, Vienna, Austria, 14–19 Apr 2024, EGU24-10128, https://doi.org/10.5194/egusphere-egu24-10128, 2024.

Weitere Informationen

Struktur und Entwicklung des tiefen unteren Erdmantels

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Hier können Sie mehr Informationen über das Projekt finden, in welchem Anna arbeitet.